Welcher Führungsstil ist der beste?

 

Wie kann ich meine Mitarbeitenden optimal führen? Was zählt denn wirklich in meiner Führungsarbeit? Da sind die Menschen, da ist die Arbeit, die zu erledigen ist, da sind Zeit- und Qualitätsziele, der digitale Wandel, Globalisierung, Diversität, chaotische und unvorhersehbare Umstände, wie wir sie während der letzten beiden Jahren durchlebt haben. Und dann ist da noch die Generationenfrage: Gibt es einen veralteten Führungsstil von gestern, der den Mitarbeitenden von heute und morgen nicht mehr zumutbar ist?

Der im Arbeitsalltag gelebte Führungsstil ist Ausdruck von Kultur und Werten eines Unternehmens. Führungsarbeit und der Stil, in dem diese erfolgt, haben direkten Einfluss auf Arbeitgeberattraktivität und die Fluktuationsrate von Mitarbeitenden. Das macht Führungsstil zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für Ihr Unternehmen. Damit ist die Frage berechtigt, welcher Führungsstil wohl der Beste ist. Bei einschlägiger Recherche wird schnell deutlich: Die Auswahl ist gross.

Markt der Möglichkeiten

Wegbereiter in der Erforschung von Führungsstilen ist der Sozialpsychologe Kurt Lewin, der unterscheidet zwischen autoritärem, kooperativem und Laissez-faire-Führungsstil. Lewins Zeitgenosse Max Weber spricht von patriarchalischem, autokratischem, bürokratischem und charismatischem Führen. H. J. Rahn führte das Konzept des gruppenorientierten Führungsstils ein mit Führungsarbeit, die integrierend, anspornend, fördernd, bremsend, ermutigend und wertschätzend sein kann. Blake und Mouton wurden bekannt mit ihrem Konzept des Managerial Grids, bei dem sich zeigt, wie stark Führungspersonen in ihrem Führungshandeln sach- oder menschenorientiert sind. Edgar Schein differenziert zwischen transaktionalen als ziel- und strategieorientierten, stark auf das Tagesgeschäft fokussierten und transformationalen, visions- und missionsorientierten Führungspersönlichkeiten. Peter F. Drucker konzipierte das weit verbreitete zielbasierte Führen, Management by Objectives (MbO). Hersey und Blanchard entwickelten die Theorie des situativen Führens, bei dem sich der Führungsstil situativ dem Reifegrad der Mitarbeitenden anpasst und anleitend, trainierend, entwickelnd oder delegierend sein kann.


Führungsstil ist wie ein Paar Schuhe

Welcher Führungsstil soll es nun sein? Was ist das beste Angebot auf dem grossen Markt der Möglichkeiten? Darauf gibt es ebenso wenig eine einzige Antwort wie auf die Frage, welche Schuhe wohl für Sie die richtigen sind. Unser Tipp: Lernen Sie von Ihren Schuhen und Sie werden mit Ihrem Führungsstil Erfolg haben.


Der Schuh muss passen. Authentizität.

Die besten Schuhe helfen nichts, wenn sie zu klein oder zu gross sind. Das mag für kurze Zeit als Kompromiss funktionieren und gut aussehen. Aber schnell wird die Sache zur Qual. Der Schuh drückt. Auch bei Führungsarbeit ist das so: Ihr Führungsstil muss authentisch sein, er muss passen. Das bedeutet, ich bin als Person gefragt in meiner Führungsarbeit. Wenn ich persönlich nicht davon überzeugt bin, dass Mitarbeitende in einem Projekt eigenständig agieren sollten, dann wird mir ein partizipativer Führungsansatz in dieser Situation nicht gelingen. Als Führungskraft mit einer charismatischen Persönlichkeit gelingt es mir, anspornend zu führen und durch Vorangehen zu ermutigen, aber die persönliche Wertschätzung kommt oft zu kurz und meine Versuche, in die Integration der Teammitglieder zu investieren, bleiben ineffektiv, wenn ich nicht wirklich dran glaube und keine grosse Lust dazu habe.


 

PRAXISTIPP: Aufbau-Training als Führungskraft

Wachsen Sie über sich hinaus als Führungskraft und erweitern Sie Ihren Führungshorizont.

• Schritt 1

Kommen Sie sich selbst auf die Schliche. Was sind meine Arbeits- und Persönlichkeitspräferenzen? Liegt mein persönlicher Fokus eher auf der Entwicklung neuer Ansätze oder auf Organisation, Implementierung und Umsetzung? Ist mir Stabilisierung und Überwachung wichtig oder Beraten und Innovation? Arbeite ich selbst lieber praktisch oder kreativ? Lasse ich mich von meinen Überzeugungen oder von einer kritischen Analyse der Situation leiten? Wir empfehlen eine professionelle Analyse Ihrer Persönlichkeit im Arbeitskontext, beispielsweise mit einem TMS-Profil.

 
 

WICHTIG: Wir Menschen haben die natürliche Tendenz, das, was wir selbst bevorzugen, auch bei anderen höher zu bewerten und stärker einzufordern. Es fällt uns schwer, das Fremde wertzuschätzen und zu fördern in Mitarbeitenden. Deshalb hilft es, wenn ich als Führungskraft meine eigenen Präferenzen kenne und meinen Führungsstil bewusst kritisch reflektiere und anpasse.

 
 

• Schritt 2

Stellen Sie sich eine klassische Führungssituation in Ihrem Team vor. Überlegen Sie, wie Sie natürlicherweise agieren würden aufgrund Ihrer persönlichen Präferenzen.

• Schritt 3

Stellen Sie sich vor, wie Sie sich mit einem anderen Führungsstil, der Sie inspiriert, in der Situation verhalten würden.

• Schritt 4

Üben Sie dies so konkret wie möglich ein. Notieren Sie beispielsweise Handlungsschritte und sprechen Sie vorher für sich laut die Fragen aus, die Sie stellen möchten.

 

Highheels sind keine Wanderschuhe: Funktionalität.

Wanderschuhe brauchen rutschfestes Gummiprofil, Tanzschuhe glatte Lederbesohlung, Highheels müssen zum Style passen, Flipflops sollten cool und bequem sein und Winterstiefel warm. Hier geht es darum, ob auch drin ist, was draufsteht. Wenn auf Ihrer Firmenwebseite Partizipation, Transparenz und Wertschätzung als Unternehmenswerte zu lesen sind, und Innovation grossgeschrieben wird, dann ist ein patriarchalischer Führungsstil nicht zielführend.

Auch branchenspezifisch unterscheiden sich die Ansprüche an Führungsarbeit. Die Baubranche braucht klare direktive Führung in Sicherheitsaspekten. Wenn die Belegschaft saisonal wechselt, ist ein bürokratischer Führungsstil hilfreich, bei dem sich alle an strikten Regeln und Vorgaben orientieren. In der IT-Branche beispielsweise ist ein Führungsstil nur dann funktional, wenn er bewirkt, dass die Mitarbeitenden Raum für Innovation und Kreativität finden. Generell erwarten Kund:innen von der Dienstleistungsbranche in allen Bereichen immer mehr Flexibilität, Kreativität und Menschenorientierung. Das müssen Mitarbeitende im Dienstleistungssektor als Unternehmenskultur erleben, um es wirksam bei den Kund:innen umsetzen zu können. Die Gesundheitsbranche basiert einerseits auf sicheren Abläufen und zuverlässigen Vorgaben, die personenunabhängig sind. Dafür ist ein sachorientierter Führungsstil mit klaren Regeln wichtiger als persönliches Charisma. Andererseits müssen Mitarbeitende in der Pflege auch problemlösend und selbständig agieren können. Das geht nur, wenn sie partizipativ geführt werden, um im Fachgebiet eigene Expertise zu entwickeln. Zusätzlich ist gruppenorientierte, ermutigende und wertschätzende Führung nötig, die der hohen emotionalen Belastung des medizinischen Personals motivierend gegensteuert.

In den Schuhen laufen: Effektivität.

So wie Schuhe beim Wandern, Tanzen, Entspannen, Gutaussehen oder Warme-Füsse-Behalten unterstützen, ist auch Führungsstil kein Selbstzweck. Führungsarbeit wirkt an der erfolgskritischen Schnittstelle zwischen Unternehmenszielen und Entwicklungszielen der Mitarbeitenden und Teams. Die Effektivität eines Führungsstils zeigt sich darin, ob diese Ziele erreicht werden.

Mit welchem Führungsstil fördere ich das Potenzial der Mitarbeitenden und des ganzen Teams zur Zielerreichung? Um dies beantworten zu können, muss ich als Führungskraft wissen, mit wem ich arbeite.

• Was sind die Arbeits- und Persönlichkeitspräferenzen meiner Mitarbeitenden? Wie setzt sich unser Team zusammen? Hier hilft ein TMS-Profil auf Mitarbeitenden- und Teamebene weiter.

• In welcher Entwicklungsstufe befinden sich die einzelnen Mitarbeitenden, die ich führe? Wer ist noch in der Anleitungsphase und braucht enge Vorgaben? Wer hat bereits hohe Expertise und profitiert davon, wenn ich mich als Führungskraft bewusst zurücknehme, im Laissez-faire-Stil agiere und delegiere.

Fazit

So unterschiedlich wie wir Menschen sind auch unsere Situationen, Bedürfnisse und Wünsche. Deshalb gibt es weder für die ältere noch für die jüngere Generation einen One-Size-Fits-All-Führungsstil. Wir wünschen uns alle, gesehen zu werden, und blühen auf, wenn wir authentische Zuwendung erfahren. In einer Studie wurden Mitarbeitende befragt zu ihren Gründen, den Arbeitsplatz zu wechseln. Das Ergebnis ist so erstaunlich wie verständlich:

 
 
Mehr Empathie ihrer Vorgesetzten würde 92 Prozent der Mitarbeitenden dazu bringen, bei ihrem Arbeitgeber zu bleiben.
— Businessolver
 
 

Weshalb scheint Empathie Mangelware zu sein in den Führungsetagen? Vielleicht deshalb, weil wir verlernen hinzusehen und wahrzunehmen – uns selbst und andere. Wichtiger als alles Suchen nach einem Führungsstil ist unser Wille als Führungskraft, uns selbst zu führen. Felix Rosenbaum fasst es in seinem neu erschienenen Buch SOG STATT DRUCK treffend zusammen:

 

Die allerwichtigste Eigenschaft einer guten Führungskraft ist der Wille zur Selbstreflexion. Fehlt die Fähigkeit, aus sich herauszugehen und seine Denkweise und sein Verhaltensmuster zu überdenken, nützt auch das vermeintlich perfekte Vorgehen nach Vorlage nichts. Es braucht Demut und die Einsicht, dass Veränderungen wünschenswert und möglich sind. Eine gute Führungskraft scheut sich nicht vor Selbst- und Fremdkritik und ist bereit, ihr Verhalten und ihre Überzeugungen immer wieder zu evaluieren und zu hinterfragen. Führungspersonen, die wollen, dass ihre Mitarbeitenden sich entwickeln, müssen merken, dass sie zuerst an sich selbst arbeiten und sich entwickeln müssen.

F. Rosenbaum, aus dem Buch SOG STATT DRUCK, F wie Führen, S. 31)

 








 
Peter Schaeublin2021